@Frederika (#66)
Man müßte eigentlich jetzt den Terminus "Wertesystem" definieren. Was für Werte denn? Ich kann bei den Tätowierten, die ich persönlich kenne, keinerlei einheitliche Werte oder politische Einstellungen finden. Da findet sich ein recht breites Spektrum - von aufstrebenden Karrieremenschen bis hin zu Familienmenschen, von Schwarz-Wählern bis hin zu Rot-Wählern ist da alles vertreten.
Und auf sexuelle Präferenzen Rückschlüsse zu ziehen, halte ich für sehr gewagt. Wenn ich ehrlich bin, wäre ich nie auf die Idee gekommen, hier nach Zusammenhängen suchen zu wollen.
Ich glaube aber, daß Du einen falschen Umkehrschluß ziehst.
Aus der Tatsache, daß sehr viele Gang-Mitglieder, Seeleute, "Knastis" usw. tätowiert sind, ziehst Du den falschen Umkehrschluß, daß sehr viele Tätowierte zu einer Gang gehören, zur See fahren oder im Gefängnis waren.
Das ist aber genauso ein Logikfehler, als würde man aus der Tatsache, daß die meisten Afro-Amerikaner schwarze Haare haben, den Umkehrschluß ziehen, die große Mehrheit schwarzhaariger Menschen seien Afro-Amerikaner.
Andere Beispiele zur Verdeutlichung:
Die Anzahl geschiedener Menschen ist bei Prominenten überdurschnittlich hoch.
Gilt dann auch der Umkehrschluß, daß die meisten geschiedenen Menschen prominent sind?
Die meisten Physiker/Mathematiker sind männlich. Sind deshalb die meisten Männer Physiker/Mathematiker?
Genau diese Art von Argumentation wendest Du jedoch in Bezug auf Tätowierte/Gepiercte an.
Der überwiegende Mehrheit der tätowierten Personen, die ich kenne, tragen ihre Tätowierung im verdeckbaren Bereich.
Es gibt Leute, die mich seit Jahren kennen, aber trotzdem nicht wissen, daß ich tätowiert bin.
Du würdest Dich vermutlich wirklich wundern, wie viele "Anzugträger" unter ihrem weißen Hemd ein Tattoo haben.
Es wurde weiter oben gefragt, warum dann die Tätowierung, wenn diese nicht zur Schau gestellt wird?
Weil man sie für sich selbst trägt. Das kann der Tod eines geliebten Freundes sein, dem man mit einem Portrait-Tattoo auf der Haut gedenken will, die Geburt eines Kindes usw. Ein wirklich sehr häufiger Grund für ein Tattoo ist, daß man sich an einen Lebensabschnitt bewußt erinnern will (eine schlimme Krankheit, die man besiegt hat, ein Neuanfang usw.).
Das hat nichts mit Mode zu tun (auch wenn es natürlich - überwiegend sehr junge - Leute gibt, die das aus modischen Gründen tun).
Meine Tätowierungen bekommt fast niemand zu Gesicht. Höchstens im Schwimmbad oder der Sauna - aber da ich kein guter Schwimmer bin und noch nie in der Sauna war und auch keinen Drang hierzu verspüre, ist das vernachlässigbar.
Auch ich trage meine Tattoos nur für mich selbst. Jedes davon hat eine große persönliche Bedeutung, die für mich weit über das Prädikat "Körperschmuck" hinausgeht. Die meisten Tätowierten gehen auch nicht zum erstbesten Tätowierer um die Ecke, um sich irgend ein beliebiges Motiv stechen zu lassen. Viele setzen sich monatelang vorher damit auseinander, suchen sich den für die jeweilige Stilrichtung geeigneten Tätowierer aus (und nehmen dabei manchmal stundenlange Autofahrten und monatelange Wartezeiten auf sich), besprechen das Motiv mit dem Tätowierer. Man erinnert sich an jeden Eindruck während des Tätowierens, an die Gespräche, welche Musik lief usw.
Hinter einem Tattoo steckt (bei vielen zumindest) oftmals viel mehr als nur Körperschmuck.
Das scheint vielen immer noch nicht klar zu sein - was ich allerdings auch niemandem verüble, der sich nicht damit befaßt.
Im übrigen habe ich mich nicht nur auf Deine Beiträge bezogen.
Wenn hier jemand oben schreibt "Piercing = Proll", dann finde ich schon, das gepiercte Menschen damit abgeurteilt werden. (Nein, ich bin nicht gepierct)
Wie gesagt, das Problem sehe ich im falschen Umkehrschluß, der gezogen wird.
Aus der Tatsache, daß bestimmte Randgruppen einen großen Tätowierten-Anteil aufweisen, wird der Logikfehler begangen, die Kausalkette umzudrehen und zu sagen, alle Tättowierten gehörten zu einer Randgruppe.