Lieber FS,
deine Situation erinnert mich an die einer guten Freundin, über die ich in einem meiner vergangenen Threads berichtet habe (Titel: (Wie lange) darf eine 'Probezeit' sein?).
Ihr Freund ist nach Erfahrungen mit angeblich psychisch gestörten Frauen beziehungsgeschädigt, lebt in Trennung und hat zwei kleine Kinder. Da muss er vorsichtig sein und braucht ganz viel Zeit, Verständnis, Rücksichtnahme, bis er wieder Vertrauen fassen kann. Bis zu einem gewissen Punkt finde ich das auch nachvollziehbar und in Ordnung.
Doch bei ihr sind es mittlerweile eineinhalb Jahre, in denen das so läuft. Er hat zig Baustellen und selten Zeit. Sie war noch kein einziges Mal bei ihm zuhause. Auch seine Freunde hat sie noch immer nicht getroffen; ein Kennenlernen mit ihrer Familie hat er erst kürzlich wieder abgesagt.
Sie steht zudem unter permanentem Generalverdacht und muss quasi ständig beweisen, dass sie keine Borderlinerin oder Narzisstin ist, die ihm sein Herz brechen will und nur auf sein Geld aus ist. Beim kleinsten "Fehltritt" ihrerseits, der ihn irgendwie triggert, fühlt er sich in seinen Befürchtungen bestätigt, setzt alles auf Null, und sie muss es erstmal wieder gut machen.
Leider ist sie, sicher auch verstärkt durch diese Manipulation, sehr verliebt und kommt da nicht raus. Alle Jubeljahre passiert nämlich auch wieder ein winziger Schritt vorwärts, der sie weiter hoffen lässt, dass, wenn sie ihm nur genug Zeit und Verständnis gibt und ihre Bedürfnisse zurücknimmt, alles ganz toll würde...
Eine Therapie hat sie ihm übrigens auch schon einmal vorgeschlagen. Er fand diesen Vorschlag angeblich gut, setzt ihn aber nicht um. Er bleibt in der Opferrolle; sie muss ihn weiterhin mit Samthandschuhen anfassen.
Ich finde deine Einstellung gut, dass du ihr Zeit und Raum geben willst, solange wenigstens ein Wille zur Weiterentwicklung erkennbar ist, egal, wie klein die Schritte sein mögen. Ich würde mir an deiner Stelle aber auch konkret überlegen, woran du diesen Willen bzw. diese Schritte festmachst und wie lange du zu warten bereit bist.
Ich meine das nicht als Druck machendes Ultimatum, das du ihr stellen sollst, sondern im Sinne einer innerlichen Ausarbeitung deiner eigenen Grenzen. Zum Beispiel so: "Es ist okay, wenn sie nicht gleich meine ganze Familie treffen will. Mein Bruder ist aber eine besonders wichtige Person in meinem Leben, was sie auch weiß. Und wenn sie in weiteren sechs Monaten noch nicht einmal ihn kennenlernen möchte, ist das für mich ein Zeichen, dass es nicht weitergeht, und dann muss ich Konsequenzen ziehen."
Sonst läufst du Gefahr, wie meine Freundin bis in alle Ewigkeit auf der verständnisvollen Warteposition gehalten zu werden... und bei aller Verliebtheit, sie ist nicht glücklich darin.
W, 29